„Wie ein Schluck Heimat“
Plaudern, Erfahrungen austauschen, lernen - im Begegnungscafé
Der tiefere Anlass für ihr Zusammentreffen ist bitterernst, und selbst wenn ein wenig Fröhlichkeit Einzug hält in die Runde, scheint das Geschehen in ihrem Heimatland stetig präsent, gerade so, als würde es das Miteinander überlagern. Einmal in der Woche haben Geflüchtete aus der Ukraine Gelegenheit, im „Begegnungscafé“ des Celler Roten Kreuzes zusammenzukommen. Es ist Teil der „Ukrainehilfe“ des DRK-Kreisverbandes. Das Angebot wird dankbar angenommen, aus verschiedenen Dörfern des Landkreises und unterschiedlichen Celler Stadtteilen finden sie sich für drei Stunden ein, um zu plaudern, Erfahrungen auszutauschen und um zu lernen.
„Ich bereite jedes Mal ein Thema vor“, berichtet Oksana. Sie stammt selbst aus der Ukraine, lebt bereits 25 Jahre in Deutschland, spricht perfekt Deutsch und ist ausgebildete Integrationslotsin. Ein Glücksfall für ihre Landsleute, denen sie nun zur Seite steht, um Fuß zu fassen und sich zurechtzufinden in der neuen Umgebung. Heute steht die duale Ausbildung auf dem Programm. Die Kinder haben sich beim Start dieser Einheit bereits verzogen in den benachbarten Raum, wo sie toben und spielen können. Ludmilla leitet an und betreut die Kleinen. „Ich bin Anfang der 90er Jahre aus Tadschikistan gekommen“, berichtet sie, ihr Vater war Russlanddeutscher. „Ich spreche die Kinder auf Deutsch an, sie antworten auf Russisch“, erzählt Ludmilla. Gegenüber im „Café“ wird Ukrainisch und Russisch gesprochen. „Alle, die hier sind, kommen aus ganz unterschiedlichen Gebieten der Ukraine“, berichtet Oksana und ergänzt lachend: „Surschyk wird auch bei uns gesprochen“. Dabei handelt es sich um eine Mischung aus beiden Sprachen. Genau genommen ist die Kaffee- und Lernrunde eine multiethnische Zusammenkunft. „Wir sind offen für alle, wir machen keine Unterschiede“, erläutert die Integrationslotsin die vielfältigen Migrationshintergründe: Ukrainer, Tataren, Roma, Armenier, Georgier. „Aber alles sind Ukrainer.“
Nur ganz alte Menschen fehlen, darüber hinaus sind alle Generationen vertreten. Tetiana ist erst vor einigen Wochen aus Kiew gekommen mit ihrem 12-jährigen Sohn Yehor. Bis zu sechsmal am Tag gab es Luftalarm, die gelernte Krankenschwester befand sich tagsüber bei ihrer Arbeit in einer Zahnarztpraxis, sorgte sich um Yehor. Die regelmäßigen Aufenthalte in den dunklen, feuchten unterirdischen Räumen belasteten die junge Frau zunehmend. In ihr reifte der Entschluss zu gehen. Wie die anderen auch bekam sie schnell eine Wohnung, Yehor geht in die 6. Klasse der Oberschule Westercelle und ist bereits Mitglied im VfL Westercelle. „Er macht Ju-Jutsu“, sagt Tetiana auf Ukrainisch, Oksana übersetzt. Manche verlassen das Café vorzeitig, weil sie zum Sprachkurs müssen. Insgesamt fehle es an Möglichkeiten, die deutsche Sprache zu erlernen. Es ist der einzige Verbesserungsbedarf, auf den sie hinweisen. Darüber hinaus sind sie sehr zufrieden mit allem. Wiederholt bedanken sie sich dafür, dass sie so gut aufgenommen wurden, möchten die Gelegenheit nutzen, um ihren Dank in die breite Öffentlichkeit zu tragen.
Drei Stunden verbringen sie gemeinsam, tauschen Neuigkeiten aus, lachen und plaudern. Einige haben ganze Ordner mitgebracht, bitten Oksana um Hilfe bei der Kommunikation mit Behörden. Oksana ist die Mittlerin zwischen der neuen ukrainischen Community in Celle und der deutschen Gesellschaft. Dieser Aufgabe hat sie sich verschrieben, für die Geflüchteten ist sie ein Anker, ein fester Anlaufpunkt, sie spenden ihr Applaus. Eine eindeutige Geste über alle Sprachbarrieren hinweg.
Welche Bedeutung das Begegnungscafé für die Neu-Celler hat, macht Oleksandra deutlich. Sie ist mit ihrer Tochter Sofia gekommen, die 16-Jährige besucht das KAV-Gymnasium. Ihre Mutter hat das Glück, an einem Deutschkurs teilnehmen zu können. Daher muss sie sich vorzeitig verabschieden, bevor sie geht, sagt sie: „Das Projekt des DRK ist für uns wie ein Schluck Heimat!“
Text und Fotos: Anke Schlicht